Kindheitserinnerungen eines Brunsbüttelkoogers

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Verfaßt im Jahr 1996, Verfasser leider unbekannt

Mein Geburtsjahr ist 1933.
Mein Vater war Soldat und kämpfte an der Ostfront, im Oderbruch, gegen die Russen. Die Schulzeit war für mich nicht so, wie sie sein sollte. Wenn ich morgens zur Schule ging, war der erste Blick zum Signalmast der Alten Schleuse. Wenn die Signalflagge „D“ gehißt war, wußte ich, daß in absehbarer Zeit Alarm kommt. Diese Signalflagge wurde bei Gefahr aus der Luft gehißt.
Nach kurzer Zeit kam dann auch schon das Sirenensignal „Voralarm“, 3 lange Heultöne mit kurzer Unterbrechung. Der Schulbetrieb wurde dann eingestellt und wir mußten nach Hause gehen. Meistens folgte auf das Voralarmsignal der „Vollalarm“. Das waren mehrere auf- und abschwellende Töne der Sirene.
Mein Vater war beim Sicherheits- und Hilfsdienst, was so etwas wie eine Feuerwehr war, mit Aufgaben wie Blindgänger markieren, ausgraben und entschärfen oder auch sprengen. Die Sicherheitswache (S.H.D.) war auf der Nordseite auf dem Gelände der Gärtnerei Grawert in der Eddelaker Str. 31. Bei Voralarm mußte er sich dort einfinden, sodaß meine Mutter und wir Kinder bei Alarm immer alleine waren.
In Zeiten, als die Feuerwehr noch kein stilles Funksignal hatte, trieb mir das Sirenengeheul so manches Mal noch Tränen in die Augen.
Aber weiter mit meinen Erinnerungen.

Bombe in die Otto-Weddigen-Straße (Frischstraße)

Otto-Weddigen-Str., 12.01.1941
Otto-Weddigen-Str., 12.01.1941
Südkai in der Nachkriegszeit


Die erste Bombe auf der Südseite Brunsbüttelkoogs zerstörte ein Zehnfamilienhaus in der Otto-Weddigen-Straße (Frischstraße – siehe Alte Straßennamen in Brunsbüttel), Ecke Westertweute.
Siehe:Bomben auf Brunsbüttelkoog und Ostermoor
Ein Postbote und seine beiden Töchter kamen dabei ums Leben. Die Töchter waren Spielkameradinnen von mir. Unser Haus stand nur etwa 150m davon entfernt – und wir waren wieder einmal ohne unseren Vater. Der S.H.D und somit auch mein Vater bekam telefonisch über das Unglück Bescheid. Die Anspannung meines Vaters war natürlich verständlich und seine Freude groß, als er die Annastraße entlangkam, beim „Dithmarscher Hof“ um die Ecke bog und unser Haus unversehrt vorfand.

Dann waren da noch die Nebel – und Fesselballonsoldaten in ihren Baracken. Eine „Nebelbaracke“ stand auf der Wiese vom Bauern Ploog, am Ende der Otto-Weddigen-Straße. Eine „Fesselballonbaracke“ war auf dem dortigen Sportplatz.
Wir Kinder schlossen schnell Freundschaft mit den Soldaten aus ganz Deutschland. Ich erinnere mich an einen, er kam wohl aus Berlin, der sang immer das Lied von „der krummen Lanke“.
Fotografieren war überall verboten. Mein Vater hatte uns Kinder `mal am Elbdeich fotografiert – sofort kam ein Soldat vom 3/7-Flakstand und beschlagnahmte den Apparat. Wir bekamen ihn allerdings zurück, nachdem sie festgestellt hatten, daß nichts militärisch Wichtiges auf dem Film war.
Als der Bombenangriff auf Brunsbüttelkoog erfolgte, waren wir drei Kinder allein zu Hause. Unser Vater war im zum Dienst und unsere Mutter saß im Bunker an der Fähre Süd. Bei Vollalarm war es verboten, auf der Straße zu sein, man mußte einen Luftschutzkeller aufsuchen. Im Wohngebiet gab es allerhand davon. In den letzten 2 – 3 Kriegsjahren setzte bei Voralarm eine regelrechte Völkerwanderung auf der Südseite ein. Mit einem Koffer oder einer Tasche mit den wichtigsten Papieren zogen wir am Elbdeich in Richtung „Holstenreck“, um einer Bombardierung Brunsbüttelkoogs zu entgehen.
Wir alle hatten Angst, daß die Schleusen bombardiert werden könnten. In unserem Haus hatten wir einen kleinen Luftschutzkeller und bei Alarm mußten wir die Nachbarn `reinlassen. Mein Vater war an der Front. Wenn bei Nacht Alarm kam, hörten wir die Dynamo-Taschenlampe von unserem Nachbarn und waren etwas ruhiger, da jetzt ein erwachsener Mann mit uns im Keller war.
Die Nebeltruppen hatten die Aufgabe, bei Alarm Brunsbüttelkoog einzunebeln. Soldaten in Gummianzügen haben dann die Nebelfässer aufgedreht. Die Nebeltonnen waren so groß, wie ein Ölfaß. Die Öffnung war mit einer Art Brause versehen, wodurch die ätzende Flüssigkeit versprüht wurde. Diese verdampfte dann so schnell und stark zu Nebel, daß wir nicht einmal mehr die andere Straßenseite erkennen konnten. Auf der Elbe hatten Fischer mit ihren Booten die Vernebelung zu übernehmen. Der Nebel verursachte auf der Haut einen heftigen Juckreiz, es konnte also nicht gerade gesund sein.

So verlief die Zeit bis zum Mai 1945. Als wir noch von der Otto-Weddigen-Straße bis zum Bauunternehmer Johannes Kruse (Bauunternehmen Kruse Brunsbüttelkoog) in der Fährstraße sehen konnten, sahen wir 3 Panzerspähwagen aus Büttel kommend Richtung Kanal fahren. Wir Kinder liefen zum „Dithmarscher Hof“, da kamen sie auch schon die Annastraße entlang und bogen in die Otto-Weddigen-Straße ein. Zufällig liefen dort zwei Soldaten der Deutschen Wehrmacht mit umgehängten Gewehren Streife. Zwei Mann der Spähwagenbesatzung sprangen vom Fahrzeug, nahmen den deutschen Soldaten ihre Gewehre ab und zerschlugen sie. Die beiden deutschen Soldaten konnten unbehelligt weitergehen und der Panzerspähwagen setzte seine Fahrt Richtung Kali-Chemie fort. Das war mein erstes Erlebnis mit den Engländern. Ein oder zwei Tage später standen Kampfpanzer in einer langen Schlange bei der Fähre und wollten auf die Nordseite.
Die englischen Soldaten hatten merkwürdige Uniformen an, auf dem Ärmel als Divisionsabzeichen eine rote, sitzende Maus aufgenäht. Es waren auch Neger darunter, ich hatte noch nie vorher einen gesehen. Die Engländer saßen auf ihren Panzern und kauten Kaugummi, das wir auch noch nicht kannten. Wir bekamen von den Soldaten Kaugummi und Schokolade und ich aß – das erste Mal in meinem Leben - Datteln. Dattelkerne fanden wir später überall in den Rinnsteinen, besonders an der Fähre. Bei Kriegsende war ich 12 Jahre alt. Die Schule war nur noch hingehen, Hausaufgaben abholen und wieder nach Hause gehen. Flüchtlinge aus dem Osten hatten unsere Schule belegt, später wurden sie in den Baracken der ehemaligen deutschen Wehrmacht untergebracht. Wir hatten auch viele Hamburger bei uns, die aus ihren Häusern ausgebombt waren.


Mein Bruder und ich haben Flakfernrohre, die beim damaligen Autofahrstuhl an der Mole 1 lagen, „organisiert“. Meine Oma schlief neben und auf den Dingern, da es verboten war, Kriegsmaterial zu besitzen. Diese Fernrohre „verscheuerte“ mein Vater dann an die Engländer, die mit ihren Schiffen am Südkai lagen. Dann gab es Kaffee für meine Mutter, Zigarretten für meinen Vater und Kaugummi für uns. Außerdem bekamen wir Kinder auch noch Kekse, Schokolade und Bonbons.
Die Zeit während des Krieges war für mich nicht so schlimm, wie die Nachkriegszeit, jetzt begann die Hungerzeit. Wenn wir morgens zur Schule gingen, hatten wir bloß eine Handvoll Puffbohnen in der Tasche. Diese wurden dann – verbotenerweise – auf den heißen Kanonenofen im Klassenzimmer gelegt. Wenn sie dann „Puff“ gemacht hatten, haben wir sie so lange im Mund behalten, bis sie weich waren und wir sie kauen konnten. Zu Hause wurde uns dann noch ein Löffel voll Fischöl „`reingezwungen“ (Lebertran ist lecker dagegen). Vielleicht hat uns aber gerade dieser Löffel Fischöl vor einer totalen Unterernährung bewahrt.
Meine Geschwister und ich - wir hatten unvorstellbaren Kohldampf. Wir hatten zwar Hühner zu Hause, die wurden uns aber über Nacht geklaut, sodaß diese Nahrungsquelle auch entfiel. Holz und Kohle zum Verheizen gab es auch nicht mehr. Holzpfähle der Weideeinfriedigung sind durch den Schornstein „gejagt“ worden. Die Kohlenhändler boten Ölkeide an. Das war zu der Zeit ein „Zeugs“ aus Erde und Öl, nicht gut – aber es wärmte. In den Petroleumlampen wurde Dieselkraftstoff zum Leuchten gebracht, das bißchen Blaken und Rußen hat uns nicht weiter gestört. Hauptsache der Krieg ist vorbei, hörte man überall.

Dann war da noch der Flakzug am Südkai. Er bestand aus 7 – 10 Waggons. Die Geschütze auf diesem Flakzug waren schon unbrauchbar gemacht worden, aber wir Kinder konnten darauf noch Karussel fahren. Wir mußten allerdings selbst drehen. Wir durchstöberten die Unterkünfte der in Gefangenschaft geratenen Besatzung, fanden aber nichts Brauchbares, nur Kragenspiegel und Hoheitsabzeichen.

Fotos vom Südkai in der Nachkriegszeit

Am Südkai standen auch mal ca. 20 in einer Reihe ausgerichtete, englische Kampfpanzer. Wir Kinder visierten durch den Lauf des Geschützes und „schossen“ einen Panzer nach dem anderen ab. Als wir den letzten Panzer anvisierten, fing der an zu „brummen“ und drehte seine Kanone in unsere Richtung. Ihr könnt mir glauben, ich bin noch nie so schnell von einem Eisenbahnwaggon `runtergekommen und noch nie so schnell weggelaufen.

In dieser Zeit hatte „Kohlenklau“ Hochsaison. Auf dem Kali-Gelände waren mehrere Berge sortierter Kohle aufgeschüttet. Ein Berg Briketts gab es da auch, der war aber auf dem Gelände am weitesten weg. Mit viel Angst und einem kleinen Beutel unter dem Arm schlichen wir Kinder bei Dunkelheit dort hin. Es gab zwar einen Wächter auf dem Gelände, aber wir verließen uns auf unsere Schnelligkeit und Geländekenntnis.
Am Südkai hatten wir auch eine Panzerfaust, mit der wir spielten. Aber – die hat uns ein Erwachsener „geklaut“. Natürlich haben wir geschimpft – aber aus einem gebührlichen Abstand.
Am Südkai lagen immer allerhand Schiffe, so wie einmal auch ein mit Butterfässern beladener, kleiner Dampfer. Der wurde allerdings nicht nur von uns Kindern bestürmt, auch Erwachsene beteiligten sich daran. Wir Kinder waren darauf aber nicht vorbereitet, wir hatten keine Behälter dabei. Also nahmen wir unsere Arme, steckten sie bis zum Ellenbogen in die Butter, holten uns einen „Armvoll“ `raus und liefen, die Butter an die Brust haltend nach Hause.


Wir Kinder hatten – wie viele andere auch – mit scharfer Munition gespielt. Wir hatten viel Glück, oftmals hätte es auch anders ausgehen können. Um an das Pulver aus den Granaten zu kommen, haben wir die Granate an der Kugel angefaßt und dann die Nahtstelle zwischen Hülse und Projektil auf ein eckiges Teil geschlagen. So brach die Hülse ab und wir konnten das Pulver ausschütten. Wenn wir eine gewisse Menge zusammen hatten, wurde es in einen leeren Petroleumbehälter gefüllt, mit einer „Zündschnur“ versehen und der Behälter mit einem Grasbüschel verstopft. Die Zündschnur wurde angezündet und dann im entsprechenden Abstand auf die Detonation gewartet, deren Ausmaß uns immer wieder reizte, es zu wiederholen.
Die 2cm – Granaten haben wir kistenweise wie folgt „entschärft“ (wenn ich daran denke, fange ich heute noch an zu schwitzen):
Die Kugel paßte genau in die Verbindungslöcher der Eisenbahnschienen. Sie wurde da hineingesteckt und einer hat mit dem Fuß dagegen geschlagen. Die Hülse brach ab und dann ging alles ganz leicht und schnell. Das Pulver wurde – wie gehabt – „verschossen“. Bei einem ähnlichen Vorgang sind auf der Nordseite in der Kreystraße einige Kinder ums Leben gekommen.
In den Splitterschutzbunkern der Kali-Chemie waren Kanonenöfen aufgestellt. Einen davon hatten wir angeheizt und auf dem Feuer die abgedrehte Leuchtspurmunition der 2 cm-Granate gelegt. Das Feuer verlöschte aber und wir bliesen in die Glut, bis es wieder brannte. Dabei kam es zu einer Explosion (mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken). Derjenige, der gerade vor dem Feuerloch war, bekam die Ladung ins Gesicht. Es sind aber Gott sei Dank keine bleibenden Schäden zurückgeblieben. Der Arzt hat die winzigen Metallsplitter mit einem Magneten aus dem Gesicht entfernt. Allerdings blieben in den Augen doch einige Pulverspuren zurück.
Wenn uns ein Erwachsener bei solchen „Dummheiten“ erwischte, drohte er oftmals damit, dem Lehrer etwas zu melden. Wir gingen am anderen Tag mit gemischten Gefühlen zur Schule, stellten dann aber fest, daß wir nicht verraten wurden (diese Männer waren ja auch mal Kinder).
Die Elbe war unser Baderevier, bei schönem Wetter konnte man herrlich am Deich liegen. Bei Ebbe spielten wir im Watt und warteten auf die Flut, um den Schlick wieder abzuspülen. Als der Großangriff auf Hamburg war, wurde das Baden in der Elbe verboten, aber – wie bei Kindern so üblich – haben wir uns nicht darum gekümmert.
Am Südkai lag mal ein großer Berg Dynamit in Kisten verpackt. Das Dymamit hatte unterschiedliche Formen, nudelartig, flache Platten und auch Makkaroniform. Ein alliierter Soldat schoß mit einer Leuchtpistole in diesen Haufen, sodaß er in Brand geriet. Die Hitze war so groß, daß drei Eisenbahnwaggons, die ca. 150m davon entfernt standen, in Brand gerieten.

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